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Rede
06.07.2007 – Volker Schneider
Zwangsverrentung stoppen, Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer verbessern

Zwangsverrentung stoppen, Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer verbessern

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Erst neulich rief mich ein Bürger aus meinem Wahlkreis an und fragte, was er denn tun solle. Er sei 58 und die örtliche Arge habe ihm angeboten, den erleichterten Bezug von Arbeitslosengeld II in Anspruch zu nehmen. Keine widersinnigen Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen, keine Drangsalierungen und Schikanen mehr durchs Amt. Hört sich erst einmal gut an. Allerdings würde er dann auch seinen Anspruch auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verlieren. Auch von dem großzügigen Programm der Initiative "50 plus", welches die Bundesregierung explizit für ältere Erwerbslose geschaffen hat, um die Auswirkungen der Rente mit 67 zu flankieren, darf er dann nicht mehr profitieren.

Ab 2008 werden dann ältere Langzeitarbeitslose mit gravierenden Leistungseinbußen gezwungen, in Rente zu gehen. Die sogenannte 58er-Regelung läuft nämlich Ende 2007 aus. Schuld daran ist die Hartz-IV-Gesetzgebung durch Rot-Grün. Ältere Hartz-IV-Empfänger müssen dann zum frühestmöglichen Zeitpunkt - auch wenn dies mit drastischen Rentenabschlägen verbunden ist - in staatlich verordnete Zwangsrente gehen. Durch die beschlossene Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre dramatisiert sich für viele die drohende Altersarmut; denn das Risiko, langzeiterwerbslos zu sein, verlängert sich um weitere zwei Jahre.

Gerade diejenigen mit prekären oder unterbrochenen Erwerbsbiografien trifft es am schlimmsten: Sie sind nicht nur überdurchschnittlich häufig im Alter erwerbslos, sondern erhalten jetzt schon im Alter Renten, die zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig sind. So betrug der Rentenzugang aus Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 im Westen 22,6 Prozent bei Männern und 22,6 Prozent bei den Frauen. Im Osten ist die Lage noch dramatischer: Hier musste jeder zweite Mann und fast 42 Prozent der Frauen aus der Arbeitslosigkeit in die Rente gehen; Tendenz steigend. Das ist die Realität von der wir sprechen.

Diese alarmierenden Zahlen machen deutlich, wie prekär und unsicher in den letzten Jahren die Übergänge in die Rente geworden sind. Dabei wird deutlich: Die Rente mit 67 zielt weder auf eine längere Erwerbsphase ab, noch dienen die Hartz-Reformen dazu, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Beide Reformen reihen sich in eine Serie von Leistungskürzungen ein, die letztlich nur darauf abzielen, die Sozialkosten der Konzerne und des Bundes auf die Arbeitnehmer abzuwälzen.

Was sie hier tun, ist nichts anderes, als die Menschen absichtlich Altersarmut auszusetzen. Wer mit 18 Prozent Abschlägen in Rente gehen muss, bei dem kann man doch wohl kaum annehmen, dass dessen Rente im Alter ausreichend sein wird. Sie tun das Gegenteil von dem, was Sie immer propagieren: Statt für sogenannte Anreize für Langzeiterwerbslose zu sorgen, wollen sie die Menschen in die Rente abschieben; Hauptsache die Statistik der Agentur für Arbeit glänzt.

Aber die ganze Sache hat auch noch einen anderen Hintergrund: Die Zwangsverrentung hat für Finanzminister Steinbrück und Arbeitsminister Müntefering, beide SPD, den großen Vorteil, den Staatshaushalt auf Kosten der Rentenversicherung sanieren zu können: Das ist insoweit ganz clever, als dass zum einem die Kosten für die Grundsicherung im Alter eingespart werden und zum anderen die Rentenversicherung die Kosten für die Zwangsverrentung tragen muss. Die Rentenversicherung hat dadurch ein doppeltes Problem: verminderte Einnahmen durch die nach wie vor viel zu hohe Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig erhöhten Aufgaben, die ihr vom Bund zur Finanzierung seines Zwangsverrentungsprogramms aufgedrückt werden.

Und die Grünen rafft die Amnesie dahin. Nachdem die Linke durch ihre kleinen Anfragen und ihre Pressearbeit gegen die Zwangsverrentung auf dieses gravierende Problem aufmerksam gemacht hat, haben Sie nichts Besseres zu tun, als die Auswüchse von Hartz IV, die Sie maßgeblich mitzuverantworten haben, wieder einzudämmen. Dabei hätte damals ein einfacher Blick in das Gesetz gereicht: Dort wird explizit darauf hingewiesen, dass die Nachrangigkeit eines der Grundprinzipien des neuen Arbeitslosengeldes II ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat sogar die Möglichkeit, anstelle des Hilfebedürftigen einen Antrag auf Zwangsverrentung bei der Rentenversicherung zu stellen. Augenscheinlich haben Sie damals nicht aufgepasst, was Ihnen die Sozialdemokraten da untergejubelt haben. Ihr jetziges Verhalten ist nicht nur bigott, nein Sie tun jetzt auch noch so, als seien Sie für all das nicht mitverantwortlich, als gehe Sie das alles nichts an. Schäbiger geht es wohl kaum noch.

Während die Grünen wenigstens versuchen, den Schaden zu beheben, den sie mitverursacht haben, hat die SPD nichts anders im Sinn, als im Zuge ihrer geplanten Flexibilisierung des Renteneintrittsalters das Problem der Zwangsverrentung noch einmal zu verschärfen. So will ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher, Klaus Brandner, die Möglichkeit schaffen, eine Teilrente mit gelockerten Zuverdienstgrenzen für alle bereits ab dem 60. Lebensjahr einzuführen. Eine solche Neuregelung eröffnet aber auch gleich die Möglichkeit der Zwangsverrentung ab 60 Jahren. Das ist nun echte sozialdemokratische Sozialpolitik, vor der sich alle nur fürchten können, die ihrer bedürfen.

Die Zwangsverrentung ist die moderne Variante der arbeitsmarktpolitisch motivierten Frühverrentung. Allerdings ist das Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt nicht mehr freiwillig. Als Dank dafür dürfen mal wieder die Arbeitnehmer die Kosten ihrer Kahlschlagpolitik tragen.

An die Bundesregierung appelliere ich: Stoppen Sie die Zwangsverrentung, stoppen Sie die staatlich verordnete Frühverrentung und ändern Sie um Himmels willen die Nachrangigkeitsregelung im SGB II dahingehend, dass sie nicht gilt, wenn sie abschlagsgeminderte Altersrenten zur Folge hat. Modifizieren Sie dringend die 58er-Regelung und sorgen Sie dafür, dass sie auch über den 31. Dezember 2007 hinaus Gültigkeit behält. Legen Sie endlich ein Gesamtkonzept vor, welches die Beschäftigungssituation Älterer verbessert. Hierzu gehört selbstverständlich auch, vermehrte berufliche Weiterbildung für Erwerbslose und beschäftigte Ältere zu ermöglichen. Zu diesen Forderungen haben wir deshalb einen Antrag erarbeitet, dem Sie zustimmen sollten, damit nicht noch mehr Menschen in Zukunft von Ihren Politikauswüchsen betroffen sind.